Glücksspiel: Gefährlicher Sportwetten-Hype in Kenia

Psychologen warnen: Viele Kenianer sehen Sportwetten nicht als Zeitvertreib, sondern als Möglichkeit, ohne Arbeit Geld zu verdienen. [hallison97photo CC BY-SA 2.0/Flickr]

In Kenia flouriert das Geschäft mit den Sportwetten. Doch hinter der Fassade der wenigen glücklichen Gewinner verbergen sich nicht nur zerstörte Einzelschicksale, sondern auch eine verlorene junge Generation.

Es war ein historischer Moment für Kenias Sportindustrie, als der lokale Online-Sportwettenanbieter SportPesa im Juli dieses Jahres verkündete, er sei eine Sponsor-Partnerschaft mit dem englischen Premier-League-Verein Hull City eingegangen. Das 2013 gegründete Wettunternehmen hatte zuvor bereits genug Einnahmen generieren können, um große kenianische Ligen zu finanzieren, bevor es sich schließlich auf den internationalen Markt wagte.

SportPesa ist nur einer von vielen Wettanbietern in Kenia, die mit plötzlichem Reichtum locken und eine ganze Armee von Spielwilligen, meist aus den ärmeren Bevölkerungsschichten, für sich gewinnen konnten. Die verantwortliche Aufsichtsbehörde, das Wettkontroll- und Lizenzamt, verzeichnet in Kenia etwa 30 konzessionierte Unternehmen mit Lizenzen für Sportwetten. Etwa zehn davon richten sich gezielt an Handynutzer. Sie profitieren von der Kombination aus wachsendem Mobiltelephonmarkt und zunehmend mobilen Zahlungsströmen.

Einem Bericht von PriceWaterhouseCoopers (PWC) zufolge beträgt der Jahresumsatz der Sportwettenindustrie in Kenia etwa 20 Millionen Dollar. In den kommenden drei Jahren soll diese Summe aufgrund der immer weiter steigenden Nachfrage 50 Millionen erreichen. Nicht nur Kenia, sondern der ganze afrikanische Kontinent erweist sich mittlerweile als lukrative Spielwiese für Wettunternehmen. Grund dafür sind vor allem die vorteilhaften, lockeren Wettvorschriften in Afrika. Die Industrie ist inzwischen so tief verankert, dass der Wettanbieter MCHEZA seine Kunden über den Bereich Sport hinaus auch auf den Gewinner der US-Präsidentschaftswahl im November setzen lässt.

Hinter der Fassade

Jeden Tag kursieren Bilder von glücklichen Gewinnern mit saftigen Checks in den Medien. Die meisten von ihnen zeigen ganz normale Bürger – Mechaniker, Köche, Studenten. Genau das verleitet viele Afrikaner zum Glücksspiel. Sie identifizieren sich mit den Gewinnern, die einst ein ähnliches Leben wie sie führten.

Doch hinter der medialen Fassade der Erfolgsversprechen stecken schreckliche Schicksale, Geschichten von Depression, Zerstörung und Selbstmord – während der Sportwetten-Hype in Kenia unvermindert um sich greift. Psychologen warnen vor einem besorgniserregenden Trend: Wettspieler, vor allem die jüngeren, sehen Wetten nicht länger als Zeitvertreib, sondern als Einnahmequelle. „In diesem Land sollte die junge Bevölkerung eigentlich am produktivsten sein. Sie verfügen über das notwendige Talent, die Energie und strotzen vor produktivem Potenzial. Eine erschreckend hohe Zahl von ihnen glaubt nun jedoch, einen Weg gefunden zu haben, auch ohne Arbeit Geld zu verdienen. So entsteht eine Kultur der Trägheit“, meint der Psychologe Dr. Crispus Anakwa, der bereits viele Fälle von Depressionen behandelte, die mit der Frustration nach verlorenen Wetten in Verbindung standen.

Erst vor Kurzem machte das tragische Schicksal von Kennedy Kosgei aus dem westkenianischen Eldoret Schlagzeilen. Er hatte einen Kredit in Höhe von 500 Dollar von einer lokalen Bank aufgenommen und damit in einem Fußballspiel auf Real Madrid gesetzt. Nachdem jedoch der Gegner Atletico Madrid die Partie für sich entschied, erhängte sich Kosgei an einem Baum. Im gleichen Match verlor auch ein Kassierer aus Nairobi seinen gesamten Wetteinsatz von 5.000 Dollar. Seine Frau verließ ihn, kurz nachdem sie davon erfuhr.

Obwohl die Wettanbieter mittlerweile verantwortungsbewusstes Glücksspiel predigen und strenge Geschäftsbedingungen vorschreiben, lesen diese wenn überhaupt nur wenige Spieler. Gleichzeitig werden sie dazu angespornt, so viele Wetten wie möglich schon für 50 Cent einzugehen, um die Gewinnchancen zu erhöhen.

„Ein wirklich schwerer Fall“

Martin Kimwaki machte einst Karriere als Marketingmanager für eine führende Immobilienfirma in Ostafrika. Seine unbändige Spielsucht brachte ihn schließlich um seinen zehnjährigen Arbeitsplatz. „Was für mich als eine Art Zeitvertreib begonnen hat, ist zu einer schweren Sucht geworden, die mich nicht nur mein Geld, sondern auch meinen Job gekostet hat“, erklärt er. „Ich habe bis zu drei Viertel meines Einkommens als Wetteinsatz verwendet. Wenn ich eine Wetter verloren habe, habe ich noch mehr Geld ausgegeben, um die Einbußen wieder zurückzugewinnen. Dabei habe ich immer mehr Geld eingebüßt.“

Die Situation geriet außer Kontrolle, als sein Einkommen schließlich nicht mehr ausreichte, um die Einsätze zu decken. Also nahm er einen Kredit bei dem Unternehmen auf. Wenn der Stress für ihn aufgrund mehrerer Verluste zu groß wurde, vernachlässigte er seine Pflichten, sodass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis ihm letzten Endes gekündigt wurde. „Ich hatte kein Geld, keine Arbeit und noch immer diesen Drang zu Spielen. Ein halbes Jahr lang habe ich kleinere Produkte auf der Straße verkauft, um Geld für meine Wetteinsätze zu verdienen“, erinnert sich Kimwaki.

Ein Freund, der sich ernsthafte Sorgen um ihn machte, schickte ihn schließlich in ein Beratungszentrum. Dort lernte Kimwaki Dr. Crispus kennen. „Er war ein wirklich schwerer Fall, als er hierher gekommen ist. Sehr verbittert, weil er einfach keine hohen Gewinne machte, obwohl er bereits so viel Geld ausgegeben hatte. Wir haben mit vielen solcher Fälle zu tun. Durchschnittlich beschäftigen wir uns mit zwei neuen Fällen pro Tag“, so der Psychologe.

Diese erschütternden Geschichten haben mittlerweile so epidemische Ausmaße angenommen, dass das kenianische Parlament über die Einführung strikterer Vorschriften für die Industrie nachdenkt. Auch der Staatssekretär für Sport und Kultur, Dr. Hassan Wario, erließ eine Richtlinie gegen die weitere Zulassung von Sportwettenanbietern. Die Zahl der Glücksspiel-Fans nimmt jedoch ungebremst zu, ebenso wie die zerstörerischen Folgen des Wettverlusts.

„Aus“ für das jetzige Sportwettenmonopol

Wer in Deutschland eine Sportwette an einen lizenzierten Wettveranstalter im Ausland vermittelt, darf entgegen den deutschen Bestimmungen über das Glücksspiel nicht bestraft werden.

Das Unglück mit dem Glücksspielgesetz

Das Glückspielgesetz ist heftig umstritten. Ob es verfassungswidrig ist oder sogar dem EU-Recht widerspricht, wird sich definitiv erst gegen Jahresende herausstellen.

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