Kohäsionsbericht: Die Krise hat wirtschaftliche Unterschiede in der EU verschärft

Die Stadt Tutrakan in der bulgarischen Region Severozapaden, der ärmsten EU-Region. [Wikipedia]

Auch nach vier Jahrzehnten Kohäsionspolitik, die die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den EU-Regionen ausgleichen soll, sind die Gräben deutlich und durch die Wirtschaftskrise seit 2008 sogar vertieft worden. Das geht aus dem siebten Kohäsionsbericht der EU hervor, der gestern vorgestellt wurde.

Der Kohäsionsbericht zeigt die wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Regionen in Europa auf. Er wird alle drei Jahre erstellt. Der aktuelle Report ist somit der erste, der die langfristigen Auswirkungen der Wirtschaftskrise von 2008 einbezieht. Es zeigt sich, dass einige Regionen die Krise relativ gut gemeistert haben, während andere sich kaum erholt haben.

Insgesamt scheint es, dass die Krise sowohl die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedstaaten als auch innerhalb der Staaten zwischen den Regionen vergrößert hat. „Die Krise ist vorbei, aber sie hat in vielen Regionen Narben hinterlassen,“ kommentierte die EU-Kommissarin für Regionalpolitik Corina Creţu bei der Präsentation des Berichts. Sie fügte hinzu: „Der Report zeigt deutlich, dass unsere Union mehr Kohäsion braucht.“

Die wirtschaftlichen Gräben manifestieren sich derweil auch in der Politik. Bei den Bundestagswahlen in Deutschland konnte die rechtspopulistische AfD besonders im wirtschaftlich schwächeren Osten punkten; im wohlhabenderen Westen erhielt sie meist weniger Stimmanteile.

Derweil ist der katalonische Kampf für Unabhängigkeit von Spanien ebenfalls teilweise wirtschaftspolitisch motiviert: Es herrscht Unzufriedenheit darüber, dass das reiche Katalonien die ärmeren Regionen in Südspanien subventionieren muss. Ähnliches lässt sich in Flandern in Belgien sowie in Norditalien beobachten.

Wirtschaftliche Angleichung

Der Ausgleich wirtschaftlicher Unterschiede ist seit den 1970er-Jahren ein formuliertes Ziel der EU. Mit dem Beitritt von zehn ehemals sozialistischen Staaten in 2004 und 2007 verschärfte sich die Problematik.

Zehn Jahre später zeigt sich allerdings eine Verschiebung: Aus dem aktuellen Report geht hervor, dass die Regionen in Osteuropa größtenteils im gesunden Tempo wachsen – im Süden ist aber das Gegenteil der Fall. Das BIP pro Kopf wuchs zwischen 2008 und 2015 in fast allen osteuropäischen Gebieten, fiel aber nahezu überall in Südeuropa.

Europäische Integration braucht eine zukunftsweisende Kohäsionspolitik

Die künftige Kohäsionspolitik muss noch wirksamer werden. Wie kann das gehen?

Da aufgrund der Austeritätspolitik während und nach der Krise die öffentlichen Ausgaben zurückgingen, wurden die EU-Kohäsionsgelder, die direkt an die Regionen gezahlt werden, zu einer Überlebensversicherung für die am stärksten betroffenen Regionen. Dennoch zeigt sich, dass diese Gebiete sich nicht so gut von der Krise erholt haben, wie die wohlhabenderen Regionen Europas.

Kohäsion nur für die armen Regionen?

Momentan bereitet die Europäische Kommission einen Vorschlag vor, wie die Kohäsionsgelder in der kommenden Haushaltsperiode nach 2020 verteilt werden sollen. Offensichtlich wird erwägt, den Fokus der zukünftigen Kohäsionspolitik mehr oder sogar ausschließlich auf die weniger entwickelten Regionen zu richten.

Während einer Pressekonferenz zum Auftakt der derzeitigen Europäischen Woche der Regionen und Städte in Brüssel warnte der Präsident des Ausschusses der Regionen Karl-Heinz Lambertz im Beisein von Creţu allerdings, ein solcher Fokus könnte das eigentliche Ziel und den Geist des Kohäsions-Programms untergraben: „Kohäsionspolitik muss heißen, dass jede Region – auf ihrem individuellen Level – teilhaben kann.“ Eine Beschränkung auf bestimmte Gebiete könne die Konflikte zwischen wohlhabenden und ärmeren Regionen verschärfen.

In der EU-Kohäsionspolitik geht es nicht nur um die Verteilung von Geldern sondern auch um eine Verbesserung der regionalen Verwaltung. Regionen erhalten nur dann Unterstützung, wenn sie vorher bestimmte Verwaltungs- und Politik-Anforderungen erfüllen. Der aktuelle Bericht zeigt, dass diese „Konditionalität“ erfolgreich und dafür verantwortlich ist, dass Lokal- und Regionalregierungen Reformen in Bereichen wie Bildung, Arbeit, Gesundheit und soziale Inklusion vorangetrieben haben. Darüber hinaus vertieft sich seit Jahren die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Regionen, die ihre Best Practices austauschen.

MEPs: Europäische Regionalpolitik verträgt keine Budgetkürzung

Verhandlungen über das zukünftige EU-Budget starten bald. Das Europäische Parlament fordert, das Budget für die Kohäsionspolitik nicht zu kürzen.

In den Kohäsionsberichten werden auch soziale und demografische Entwicklungen festgehalten. Die Erkenntnisse sind wenig rosig: Die Bevölkerungsentwicklung in der gesamten EU ist 2015 zum ersten Mal negativ geworden; die Todesfälle überstiegen die Zahlen der Geburten. Außerdem hat sich die Migration von außerhalb sowie innerhalb der EU verstärkt. Die ärmsten EU-Regionen erleben weiterhin große Emigrationswellen.

Vertreter von Regionalregierungen werden die Ergebnisse des aktuellen Kohäsionsberichts diese Woche in Brüssel diskutieren.

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