Europäische Cloud: Microsoft in Gesprächen mit Berlin

Ist Microsoft an Bord für Gaia-X? Es gibt mehrere Gründe für und gegen eine Beteiligung des US-Unternehmens. [EPA-EFE/RITCHIE B. TONGO]

Microsoft hat enthüllt, dass es Gespräche mit dem deutschen Wirtschaftsministerium geführt hat. Dabei ging es darum, ob das Unternehmen als Lieferant für die ambitionierte Initiative für eine europäische Cloud-Netzwerkinfrastruktur (Gaia-X) unter Vertrag genommen werden könnte.

Das Gaia-X-Projekt wurde von hochrangigen PolitikerInnen in ganz Europa als eine große Chance für den Kontinent begrüßt. Mit ihm könne man mehr „technologische Souveränität“ in einem europäischen Marktplatz für Cloud-Technologie schaffen, der bisher von US-amerikanischen und chinesischen Firmen dominiert werde.

Tatsächlich besteht der öffentliche Cloud-Markt derzeit zum größten Teil aus fünf Unternehmen: Amazon Web Services, (47,8 Prozent des globalen Marktanteils), gefolgt von Microsoft mit 15,5 Prozent, Alibaba mit 7,7 Prozent und Google und IBM mit vier bzw. 1,8 Prozent.

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Microsoft hatte zunächst mit Besorgnis auf die Pläne Europas, einen eigenen Cloud-Service aufzubauen, reagiert. Nun beginnt das Unternehmen scheinbar, seinen Wunsch nach einer zentralen Beteiligung an dem Projekt zu betonen.

Eine Microsoft-Sprecherin erklärte nun gegenüber EURACTIV.com: „Wir halten es im Cloud-Zeitalter für falsch, die Souveränität entlang der territorialen Grenzen zu definieren“. Ihr Unternehmen sei aber „überzeugt“, dass es die „geeignete technologische Architektur“ anbieten kann, um sicherzustellen, dass Europas zukünftige Cloud-Infrastruktur vor unbefugten Zugriffen Dritter geschützt ist.

„Wir stehen derzeit mit dem Bundeswirtschaftsministerium in Berlin in Gesprächen über unsere mögliche Beteiligung,“ fügte die Sprecherin hinzu.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels im englischen Original hatte das deutsche Ministerium auf entsprechende Bitten von EURACTIV nach einer Stellungnahme nicht reagiert.

EU-Cloud dominiert von US-Firmen

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier versucht schon seit Längerem, sich als treibende Kraft für das Gaia-X-Projekt zu profilieren. Er bewirbt die potenziellen Vorteile des Projekts, um den europäischen Markt für Cloud-Infrastrukturen aufzubauen und damit zu einer größeren Unabhängigkeit Europas von Technologien aus dem Ausland beizutragen.

Die Initiative wird auch von der Europäischen Kommission und Frankreich sowie von fast 100 Unternehmen unterstützt.

Im Juli 2019 sagte Altmaier: „Deutschland hat einen Anspruch auf digitale Souveränität. Deshalb ist es uns wichtig, dass Cloud-Lösungen nicht nur in den USA entstehen.“

Im Anschluss an diese Äußerungen hatte die Frankfurter Allgemeine Zeitung im folgenden August ein internes Regierungspapier veröffentlicht, das die Pläne von Altmaier enthält. Darin räumt der Wirtschaftsminister ein, dass „die Cloud-Branche derzeit weitgehend von US-Unternehmen wie Amazon dominiert wird“.

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Im Oktober wird Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier detailliertere Pläne für die Etablierung einer wegweisenden europäischen Cloud-Initiative namens „Gaia-X“ vorlegen.

Auf EU-Ebene äußerte sich derweil Kommissionspräsidentin Ursula von der Leuen ebenfalls über die Bedeutung der technologischen Souveränität („Technologiehoheit“) der EU. In einer Stellungnahme stellte sie fest, dieses Konzept beschreibe „die Fähigkeit, über die Europa verfügen muss, um im Einklang mit den eigenen Werten und Regeln eigene Entscheidungen treffen zu können“.

Dementgegen steht nun die jüngste Enthüllung, dass Microsoft in die europäischen Cloud-Infrastrukturpläne eingebunden werden will. Möglicherweise gibt es bald eine kalte Dusche für die Idee, dass der Block tatsächlich in der Lage ist, seine eigene „Souveränität“ und Unabhängigkeit von US-Firmen im Digitalbereich zu erreichen.

US Cloud Act

Darüber hinaus gibt es Befürchtungen, dass der sogenannte US Cloud Act den Schutz personenbezogener Daten aus der EU beeinträchtigen könnte, wenn er auch für US-Unternehmen mit Rechenzentren in der EU auferlegt wird.

Im vergangenen Jahr hatte der Europäische Datenschutzausschuss (EDPB) auf eine Anfrage des Ausschusses für Bürgerliche Freiheiten des EU-Parlaments hin eine Analyse der möglichen Auswirkungen des amerikanischen Cloud Act auf die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) veröffentlicht.

Darin wird auf potenzielle Konfliktpunkte zwischen den beiden Gesetzgebungen hingewiesen.

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Die Probleme in Bezug auf den amerikanischen Rechtsrahmen drehen sich vor allem um die Tatsache, dass der Cloud Act den US-Strafverfolgungsbehörden das Recht gibt, die Freigabe von Kundendaten außerhalb der USA zu erzwingen. Aus Sicht des EU-Datenschutzausschusses führt dies zu einer „extraterritorialen Reichweite der Befugnisse“.

„Dienstleistern, die personenbezogene Daten kontrollieren, deren Verarbeitung der DSGVO oder anderen Gesetzen der EU oder der einzelnen Mitgliedsstaaten unterliegt, droht ein Gesetzeskonflikt zwischen dem US-Recht und der DSGVO und anderen anwendbaren EU- oder nationalen Gesetzen der Mitgliedsstaaten,“ so die Stellungnahme des EDPB.

Offenbar ist die EU-Behörde der Meinung, der Cloud Act sei rechtlich nicht einwandfrei, wenn damit die DSGVO umgangen wird, um die Übermittlung personenbezogener Daten in die USA zu ermöglichen.

Probleme bei Projekt JEDI

Auch an anderer Stelle sehen sich US-Firmen bei der Bereitstellung von Public-Cloud-Diensten aktuell im Zentrum einer größeren Kontroverse: Das US-Projekt Joint Enterprise Defence Infrastructure (JEDI) zielt darauf ab, ein einziges Cloud-Netzwerk für das US-Militär zu schaffen. Die Verträge für diesen Dienst haben einen Wert von rund zehn Milliarden Dollar.

Ein US-Gericht hat die Pläne allerdings gestoppt, nachdem Amazon Berufung eingelegt hatte. Ursprünglich war von Amazon geplant gewesen, sich an der Initiative zu beteiligen, die aber schlussendlich allein an Microsoft vergeben wurde. Amazon argumentiert, dies könnte auf die Fehde zwischen Präsident Donald Trump und Amazon-CEO Jeff Bezos zurückzuführen sein.

Bis zur Beilegung des Rechtsstreits wird das JEDI-Projekt nicht weiter entwickelt.

Zurück in Europa soll das Gaia-X-Projekt derweil noch in diesem Frühjahr beginnen. Somit könnte das Gesamtsystem schon vor Ende des Jahres 2020 den Betrieb offiziell aufnehmen.

[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]

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